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Von Hanns-Peter von Thyssen-Bornemissza
„Nur sehr ungern" erinnerte sich der Konstruktionschef aus früheren Jahrzehnten, Karl
Stief, an die Entstehung eines großen Opels. Das Konstruktionsbüro leitete damals Fritz
von Opel.1929 hatte der amerikanische Automobil-Konzern General Motors die Mehrheit
an der deutschen Automobilfabrik Opel in Rüsselsheim gekauft. 1932 übernahmen die
Amerikaner die restlichen 20 Prozent.
In der Hoffnung, Deutschland einen Konkurrenten zu den amerikanischen Cadillacs zu
bieten, entstand zu dieser Zeit bei Opel eine große Limousine mit einem 6,0 Liter-
Achtzylinder-Motor im Bug, der 110 PS leistete und den Wagen auf eine Spitze von 120
km/h brachte – der Opel Regent. Doch die Weltwirtschaftskrise in den USA hatte den
Markt für große Automobile über Nacht zusammenbrechen lassen. Alle Marken, die sich
mit repräsentativen Automobilen schmückten, mussten herbe Verluste hinnehmen –
darunter auch Generals Motors. Vor diesem Hintergrund traf der Zorn aus den USA die
Führungsriege in Rüsselsheim voll. Im Oktober 1929 wurde auf ihr Geheiß hin die
Produktion eingestellt.
Innerhalb von nur sechs Monaten waren vom Opel Regent insgesamt 25 Exemplare
hergestellt worden. Alle Wagen, die bereits das Werk verlassen hatten, mussten
zurückgekauft und verschrottet werden. Opel sollte lieber Autos der Mittelklasse bauen.
Die verkauften sich nämlich bestens.
Vor diesem Hintergrund las der damals neue Chefkonstrukteur Karl Stief die
Hausmitteilung des Vorstandes mit Skepsis, weil die wieder nach einem großen Opel
verlangte. Stief und sein Team schufen eine viertürige Luxus-Limousine nach der
neuesten Auto-Mode. So entstand vor genau 80 Jahren der Kapitän. Das Schrägheck trug
eine zweigeteilte Rückscheibe, unter einer Blechklappe lag versteckt das Reserverad
schräg im Kofferraum, durch Chromleisten von außen erkennbar. Die Front war mit einem
spitzen Katzenbart-Kühler geschmückt, die Rundscheinwerfer waren schon in die
Kotflügel eingebaut. Die Kotflügel selbst standen noch vom Karosseriekörper getrennt.
Die Bugscheibe war ebenfalls zweigeteilt.
Trittbretter waren noch selbstverständlich. Die vorderen Seitentüren öffneten nach hinten,
die hinteren nach vorn. Im Bug arbeitete ein seidenweich laufender Sechszylinder mit 2,5
Liter Hubraum, der 55 PS leistete. Nur in einem Punkt blieb der Kapitän konventionell: Er
trug nicht jene selbststragende Karosserie, wie sie ab 1936 der Opel Olympia besaß. Stief
gab ihm vorsichtshalber eine halbselbsttragende Bauweise. Denn die Konkurrenz
verkündete damals lautstark, dass der Opel Olympia mit seiner leichten Bauweise bei
starker Beanspruchung auseinanderbrechen würde.
Im März 1938 – zum Genfer Autosalon – feierte der Kapitän seine öffentliche Premiere.
Opel lieferte ihn als Zwei- oder als Viertürer. Die Kunden schätzten den Kapitän. Und er
verdiente Geld, hatten doch die General-Motors-Manager durchgesetzt, dass der
brandneue Opel Blitz-Lastwagen, der im ebenfalls nagelneuen Lkw-Werk in Brandenburg
gebaut wurde, denselben 2,5 Liter-Motor erhielt. Nur etwas mehr als ein gutes Jahr wurde
der Kapitän gebaut, dann verbot die nationalsozialistische Regierung Opel die Produktion
mit der Begründung, die Sechszylinder würden alle für den Lkw-Bau gebraucht. Im
September 1939 zeigte sich dann, wofür. Hitler hatte den zweiten begonnen und benötigte für seine Wehrmacht dringend Opel Blitz-Lastwagen.
Nach dem Ende des Kriegs, im Oktober 1948, beendeten die Alliierten die
Reglementierung, nach der die deutsche Automobilindustrie nur Personenwagen mit
Motoren bis 1,5 Liter Hubraum herstellen durfte. Somit war auch für das Opel-Werk der
Weg frei, sein vor dem Zweiten Weltkrieg entwickeltes Flaggschiff wieder zu bauen. Der
Wiedereinstieg des 2,5 Liter-Sechszylinders mit 55 PS gestaltete sich schwierig, weil eine
zahlungskräftige Kundschaft im verarmten Deutschland völlig fehlte. So wurde der
Kapitän anfangs ausschließlich für den Export gebaut.
70 Jahre ist es her, dass er seine Wiederauferstehung feierte. Die zweitürige Ausführung
gab es nicht mehr. Die Karosseriefabrik Joseph Hebmüller im rheinischen Wülfrath stellte
1952 ein zweitüriges Cabriolet mit zwei Sitzen auf der Basis des Opel Kapitäns her. Man
hoffte auf eine kleine Serienproduktion, doch es blieb beim Prototyp, denn der Kapitän
hatte eine inzwischen antiquierte Form. Aus der Auto-Mode gekommen waren inzwischen
das geteilte Rückfenster, die hervorstehenden Kotflügel, die geteilte Frontscheibe, das
Fließheck mit dem darunterliegenden Reserverad-Schutz. Auch das Schrägheck fand bei
den Nachkriegs-Käufern keine Bewunderer mehr.
Bis Herbst 1949 wurden insgesamt 25 371 Exemplare gebaut. Immer öfter mussten die
Opel-Händler erfahren, dass sich Kunden des Designs wegen keinen Kapitän zulegen
wollten. Der Sturm der entrüsteten Opel-Händler trieb Opel dazu, ein neues Modell zu
entwickeln. Im August 1951 erschien der „Kapitän 52". An der Grundkonzeption mit
halbselbsttragender Karosserie und hinterer Starrachse änderte sich nichts. Allerdings
stand das Modell 52 des Kapitäns auf 15 statt auf 16 Zoll-Reifen. Die Leistung des 2,5
Liter-Sechszylindermotors stieg von 55 auf 58 PS an.
Von der 9600 Mark teuren Limousine wurden bis Herbst 1953 genau 48 562 Exemplare
gebaut. Der Opel Kapitän trug nun eine breite Chrom-Schnauze am Bug, hatte eine größere
Heckscheibe und einen und rundlichen Kofferraum-Deckel. Im Innern trug der neue
Kapitän ein weißes Lenkrad mit verchromten Signalring als Hupe und verchromt
eingerahmte Instrumente. Die Vordersitze standen eng zusammen. Viel später stellte sich
heraus, dass der Kapitän 52 ein innerhalb des General Motors-Konzerns zu den Akten
gelegtes Projekt von 1941 handelte.
Nach der Premiere kam es zu einem Aufstand innerhalb der Opel-Organisation, der
allerdings nicht an die Öffentlichkeit drang: Die Kunden wanderten ab, denn inzwischen
gab es Automobile in Pontonform, etwa den Borgward Hansa 1500, den großen Borgward,
den Ford Taunus 12 M. Und selbst unter den Kunden mit dickem Geldbeutel war der
Besitz eines amerikanischen Straßenkreuzers etwas zu exklusiv. Nicht nur das: Plötzlich
tauchten in den Händler-Werkstätten Vertreter auf, die passend für den Kapitän, komplette
Karosserien liefern wollten.
Überliefert ist der Fall der Passat-Werke in Gelsenkirchen, die einen hochmodernen
Limousinen-Aufbau an die Kapitän-Kunden verkaufen wollten: eine viertürige Limousine
mit geschlossener Front, mit gerundeter Frontscheibe und hinten sanft abfallendem
Buckelheck. Die ungeliebte Kapitän-Karosserie sollte in Opel-Werkstätten gegen das neue
Blechkleid ausgetauscht werden. Initiator des ganzen war der Landmaschinen-Vertreter
Romanus Müthing, der ins Auto-Geschäft drängte und den Kleinwagen "Pinguin" herstellen
wollte, was aber nicht gelang.
Nicht überliefert ist, ob die Passat-Werke tatsächlich Kapitän-Kunden fingen und ob Opel
nicht mit rechtlichen Mitteln gegen die Gelsenkirchener vorging. Immerhin schlugen
damals, 1952 und 1953, die Wellen so hoch, dass General Motors eingriff und den
Rüsselsheimern jene finanziellen Mittel gewährte, mit denen die Deutschen dann einen
hochmodernen Kapitän entwickelten: mit selbsttragender Pontonkarosserie, mit dreiteiliger Heckscheibe, mit Lenkradschaltung, mit einteiliger Frontscheibe und sogar
schon mit durchgehender vorderen Sitzbank. Sein 2,5 Liter-Sechszylinder leistete
zunächst 68, später 71 PS. Der Wagen trug kleine vordere Dreieck-Ausstellfenster, größere
Rückleuchten auf den hinteren Kotflügeln und einen nach innen gezogenen Kühlergrill.
Entwickelt wurde er von Friedrich Wilhelm Lohr, der seine Karriere 1940 als
Werkzeugmacher-Lehrling bei Opel begann und es bis zum Vice President GM Europe und
in dem General-Motors-Aufsichtsrat brachte. Der Opel Kapitän 54, der im August 1954
erschien, hatte wieder Anschluss an die Konkurrenz gefunden. Und er verkaufte sich so
gut, dass er in den folgenden Jahren immer mit den neuesten Details der Automode
ausgerüstet wurde. Zwei Jahrzehnte lang besetzte Opel damit die Lücke des besonders
modischen, hochkarätigen Autos. Bis heute ist die leer geblieben.